Geothermie in der Innenstadt

Goldstandard für Neubau und Bestandssanierung

Der Campus für kreatives Arbeiten in der Berliner City besteht aus einem Neubau und zwei denkmalgeschützten Gründerzeitbauten. Die TGA-Planung für das Gesamtobjekt lag in den Händen der Ruß Ingenieure AG, die hier ein preisgekröntes Energiekonzept mit PV- und einer Geothermieanlage, einem autarken Nahwärme- und Nahkältenetz, Lüftung mit Wärmerückgewinnung sowie Flächensystemen zur Heizung und Kühlung umsetzte.

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Campus für kreatives Arbeiten: Das Gesamtensemble besteht aus einem Neubau mit Fahrrad-Tiefgarage und zwei sanierten Gründerzeitbauten. Bild: &MICA GmbH
Campus für kreatives Arbeiten: Das Gesamtensemble besteht aus einem Neubau mit Fahrrad-Tiefgarage und zwei sanierten Gründerzeitbauten. Bild: &MICA GmbH

In der Köpenicker Straße in Berlin wurden unter Zusammenarbeit mit &MICA, ehemals Michels Architekturbüro, zwei denkmalgeschützte Gebäude des ehemaligen Post- und Telegraphenbauamtes saniert und zu einem nachhaltigen Büroensemble kombiniert.

Auf 11.650 m² entstanden hochwertige und energieeffiziente Flächen für eine urbane und ganzheitlich orientierte Arbeitswelt von morgen.

Das nachhaltige Sanierungs- und Nutzungskonzept mit einer Zertifizierung nach DGNB Gold zeichnet sich aus durch:

  • Bestreben nach Klimaneutralität für Neubau und energetische Sanierung im Denkmalschutz
  • umweltschonende Energieversorgung über Photovoltaik und Geothermie-Nutzung im Innenstadtbereich
  • eine gemeinsame Energiezentrale für alle Bauteile
  • Aufbau eines autarken Nahwärme- und Nahkältenetzes
  • Reduzierung der Technikflächen, da die verwendeten Wärmepumpen sowohl zum Heizen als auch zum Kühlen verwendet werden
  • passive Kühlung durch das Geothermiefeld, aktive Kühlung zur Abdeckung der Spitzenlast über die Rückkühler, Nutzung der Rückkühler zur Regeneration des Erdsondenfeldes
  • sehr geringe Betriebskosten für die sommerliche Kühlung
  • Betriebskosteneinsparungen durch Eigenstromnutzung der PV-Anlagen
  • Steigerung der Energieeffizienz durch permanentes Monitoring der Gebäudeautomation.

Energiekonzept

Wärme und Kälte für den Gebäudekomplex werden über eine Wärmepumpenanlage aus einem Geothermiefeld bereitgestellt, in dem 35 Erdsonden mit einer Teufe von 99 m versenkt wurden. Für die Positionierung der Erdsonden wurden sämtliche auf dem Grundstück verfügbaren Flächen – in den Innenhöfen und unterhalb der Tiefgarage – ausgenutzt. Die wasserrechtliche Genehmigung für das gesamte Erdsondenfeld wurde durch eine Pilotbohrung mit einem Geothermal-Response-Test mit einer anschließenden Simulation bei der Unteren Wasserbehörde beantragt. Die Auslegung der Wärmepumpenanlage erfolgte auf Basis der Simulationsergebnisse und der entsprechenden Heiz- und Kühllastberechnungen. Die Genehmigungsfähigkeit des Erdsondenfeldes setzt voraus, dass die Energiebilanz des Erdsondenfeldes für den Heiz- und Kühlfall ausgeglichen ist. Vorzusehen ist zudem eine Möglichkeit zur Regeneration des Erdsondenfeldes.

Planungsunterlage für die Geothermie in den Innenhöfen der Bestandsgebäude Bild: Ruß Ingenieure

Das Erdsondenfeld hat eine Entzugsleistung von 120 kW. Die maximale Gebäudeheizlast beträgt in Summe 280 kW. Auf Basis dieser Ausgangsdaten wurde ein bivalent-paralleles System konzipiert. Es besteht aus drei Wärmepumpen und einem Gaskessel zur Abdeckung der Spitzenheizlast. Der berechnete Bivalenzpunkt liegt bei −4 °C, das entspricht einem Deckungsanteil der Geothermie von 70 % des Heizenergiebedarfs. Reicht die Heizleistung der Wärmepumpen nicht mehr aus, wird der Brennwert-Gaskessel geregelt dazu geschaltet.

Die Gebäudekühlung erfolgt ebenfalls über das Erdsondenfeld und die Wärmepumpen. In Abhängigkeit von den Soletemperaturen wird passiv direkt über das Erdsondenfeld gekühlt. Ist die passive Kühlleistung ausgeschöpft, wird auf aktive Kühlung über die Wärmepumpen umgeschaltet. Um den Gebäudekühlbedarf von 180 kW zu decken, ist eine weitere Wärmepumpe nötig, die ausschließlich aktiv kühlt. Das System stellt ganzjährig Kälte bereit.

Das Baufeld im Innenstadtbereich: Die Erdsondenfelder für den Neubau wurden unter den Bodenplatten vorgesehen, für den Bestand in den Innenhöfen. Bild: &MICA GmbH

Die Energiezentrale mit den drei Wärmepumpen, zwei Pufferspeichern, Heiz-/Kältekreisverteilern und dem Spitzenlast-Gaskessel befindet sich im Untergeschoss des Neubaus. Für den Fall, dass die Energiebilanz des Erdsondenfeldes im Jahresverlauf nicht ausgeglichen ist, wurde ein Rückkühler mit 200 kW auf dem Dach des Neubaus errichtet. Mit dem Rückkühler kann dem Erdsondenfeld Umweltenergie zurückgeführt werden.

Die Gebäude werden grundsätzlich mit Flächensystemen geheizt und gekühlt. Sollten aufgrund der Heizlast weitere Heizkörper notwendig sein, wurden wassergeführte Heizkörper mit elektrischen Heizstäben verwendet, um niedrige Vorlauftemperaturen zu ermöglichen. Das vorgegebene Budget des Bauherrn konnte durch den Entfall der Kältemaschinen eingehalten werden.

Anschlussleitung und Verteilung für die Geothermie im Untergeschoss des Neubaus Bild: &MICA GmbH

Betonkernaktivierung im Neubau

Die Räume im Neubau werden durch eine Betonkernaktivierung temperiert. Von Heizen auf Kühlen und umgekehrt wird mittels 6-Wege-Ventilen umgeschaltet, die den jeweiligen Verteilern der Mietbereiche zugeordnet sind. Die Temperaturen der einzelnen Besprechungsräume werden per Einzelraumregelung angepasst.

Berechnungsgrundlage ist eine Raumtemperatur im Sommer von maximal 26 °C bei einer mittleren Außentemperatur von 32 °C. Mit steigender Außentemperatur über 32 °C erhöht sich die Raumtemperatur aufgleitend auf ≥ 26 °C. Dies gilt für alle gekühlten Nutzungsbereiche des Objekts, auf deren Basis die Kühllastberechnung erfolgte.

Fußbodenheizung/-kühlung im Altbau

Die bauphysikalischen Eigenschaften der denkmalgeschützten Bestandsgebäude konnten nur im geringen Maße verbessert werden. Die dezentralen Abluftanlagen wurden in den bestehenden Kaminabzügen verbaut, so dass die technischen Anlagen im Gebäude zu wenig Verlust von Mietfläche führen.

Die Bestandsgebäude werden über ein Nahwärme- und Kältenetz von der Technikzentrale im Neubau ausgehend versorgt. Für die Einfädelung in die Gebäude konnte die historische Infrastruktur des Fernmeldeamtes genutzt werden. Im teilunterkellerten Bereich der Gebäude fanden sich nach außen gehende Röhrensysteme, die vermutlich einst für die Erschließung mit Fernmeldetechnik genutzt wurden. Im beiden Gebäuden wurden je zwei Stränge definiert, die als 4-Leiter-System ausgeführt wurden. Auf diese Weise entstehen im Gebäudemaßstab zwei Regelzonen, die die Orientierung der Gebäude nach Norden und Süden berücksichtigen. Durch die Anordnung und Zusammenlegung der Heizkreise ist es gerade in der Übergangszeit möglich, südlich ausgerichtete Räume mit hohem solarem Eintrag zu kühlen und zeitgleich nördlich orientierte Räume mit Wärme zu versorgen.

Die Bestandsgebäude werden über eine Fußbodenheizung beheizt, die im Sommer auch zur Klimatisierung genutzt werden kann. Warmwasser wird dezentral mit elektrischen Durchlauferhitzern bereitgestellt. Dies vermeidet hohe Bereitschafts- und Verteilverluste und entlastet die im Neubau installierten Wärmepumpen.

Raumlufttechnische Anlagen

Die Mietflächen im Neubau werden über eine mechanische Lüftungsanlage be- und entlüftet. Vor dem Hintergrund der begrenzten Leistung durch die Geothermie und dem Ziel, die Vorlauftemperaturen im Heizfall gering zu halten, wird ein Lüftungsgerät mit einer autarken Wärme- und Kälteerzeugung und einer effizienten Wärmerückgewinnung verwendet. Das Kompaktlüftungsgerät verfügt über ein Kreislaufverbundsystem mit integrierter Wärmepumpe und erzielt bei einem Luftwechsel von 15.000 m³/h einen Wärmerückgewinnungsgrad von 80 %. Die Mietflächen der Bestandsgebäude werden manuell über die Fenster belüftet.

Neubau und denkmalgeschützter Bestand werden durch Nutzung von Geothermie und Umweltenergie dekarbonisiert. Bild: &MICA GmbH

Photovoltaikanlage

Zwei der insgesamt drei Gebäude wurden mit PV-Modulen in Südausrichtung ausgestattet. Auf dem Flachdach des Neubaus sind 21 Module mit insgesamt 7,14 kWp installiert. Die Module wurden auf einem Montagesystem für begrünte Dächer installiert. An dessen Unterseite befinden sich mit Substrat beschwerte Matten. Die Modulneigung beträgt 15 °. Somit reinigen die Module sich bei Regen von selbst, und der jährliche Energieertrag steigt.

Das Schrägdach des Altbaus ist ausgestattet mit 40 Modulen mit insgesamt 13 kWp. Die Module wurden auf einem Montagesystem für Schrägdächer installiert. Da das Schrägdach nicht mit Dachschindeln errichtet, sondern mit Bitumen abgedichtet wurde, wurden die Füße des Montagesystems auf die Dachhaut geklebt.

Beide Dächer haben nahe der Anlage jeweils eigenen Wechselrichter mit je eigener interner Energiezählung. Beide PV-Anlagen speisen auf die Unterverteilung Haustechnik, mit der alle haustechnischen Anlagen versorgt werden, die Wärmepumpen ausgenommen. Damit ein ggf. anfallender Energieüberschuss ins öffentliche Netz eingespeist werden kann, wird vom örtlichen Energieversorger ein bidirektionaler Energiezähler eingesetzt. Ziel ist es, den Eigenstromverbrauch aller haustechnischen Anlagen über die PV-Anlage abzudecken.

Pkw-Lademanagement

Die zehn Pkw-Stellplätze in der Tiefgarage des Neubaus sind mit je einer eigenen Pkw-Ladestation ausgestattet. Innerhalb der Niederspannungshauptverteilung (NSHV) des Gebäudes gibt es eine separate Wandlermessung für 100 A. Abgehend davon wird eine Zählerverteilung gespeist, die das Sicherungsmaterial inklusive FI-Sicherung und eine Platzvorhaltung für interne Energiezähler für jeden einzelnen Stellplatz beinhaltet. Die Zähler des örtlichen Energieversorgers werden aber nicht gesetzt, sondern in Abstimmung mit dem Energieversorger gebrückt. Von dort aus wurden die elektrischen Leitungen bis zu jedem Stellplatz gezogen und auf einer Aufputz-Box abgeschlossen, da sich der Bauherr/Eigentümer erst zu einem späteren Zeitpunkt auf ein Fabrikat und Abrechnungskonzept festlegen wollte. Somit sind die bauliche und technische Vorrüstung geschaffen, um verschiedene Abrechnungskonzepte zu nutzen. Zusätzlich gibt es in der Tiefgarage 10 Vorrüstungspunkte für abschließbare Ladeschranksysteme, in denen Akkumulatoren für E-Bikes geladen werden können.

Gebäudeautomation

Für die gesamte technische Gebäudeausrüstung wurde ein durchgängiges einheitliches Automationssystem geplant. Die Anlagenautomation regelt die Energiezentrale und das Lüftungsgerät. Des Weiteren erfasst sie sämtliche Stör- und Betriebsmeldungen der technischen Anlagen. Die Raumautomation regelt die Raumtemperaturen und kommuniziert mit der Energiezentrale die jeweiligen Heiz- oder Kühlanforderungen. Das Monitoring erfolgt über das Management- und Bediensystem vor Ort oder über einen Fernzugriff.

Sieger DEUTSCHER TGA-AWARD 2022 - Kategorie: Neubau und Bestand - Objekttyp: halböffentliche Gebäude - Gewerbeimmobilie
Das Energiekonzept umfasst u. a.: Energieversorgung über Photovoltaik inklusive Eigenstromnutzung, Geothermienutzung in der Berliner Innenstadt eine...

Jessica Schiese

Jessica Schiese
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Goldstandard für Neubau und Bestandssanierung
Seite 26 bis 29
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