Sachverständigenpraxis

Was Sachverständige für Trinkwasserhygiene tunlichst unterlassen sollten

Die nachstehenden Ausführungen sind eine schriftliche Zusammenfassung eines Vortrags anlässlich der ersten Jahrestagung des Deutschen Vereins der qualifizierten Sachverständigen für Trinkwasserhygiene e. V. (DVQST) am 15. September 2022. Gegenstand des Vortrags war die Präsentation der empfehlenswerten Informationsschrift des Instituts für Sachverständigenwesen e. V. (IfS) Todsünden des Sachverständigen, verfasst von Dr. Walter Beyerlein und Walter Frank, 6. Auflage, 2017.

1105
Gerichtlich bestellte Gutachter bzw. Sachverständige unterliegen den Weisungen des Gerichts. Bild: Yanukit/stock.adobe.com
Gerichtlich bestellte Gutachter bzw. Sachverständige unterliegen den Weisungen des Gerichts. Bild: Yanukit/stock.adobe.com

Fachliche Eitelkeit

Als erste Todsünde wird das Überschätzen der eigenen Fachkompetenz und Zuständigkeit benannt. Diese Selbstverständlichkeit wird in § 407a der Zivilprozessordnung (ZPO) wie folgt umschrieben: „Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger erledigt werden kann.“

Seitens der Verfasser der Informationsschrift, die beide Richter an einem Oberlandesgericht sind, wird die Gefahr der Grenzüberschreitung des Sachverständigen insbesondere darin erkannt, dass ein Gericht dadurch, dass es einem Sachverständigen suggestiv „Honig ums Maul schmiert“, ihn zu weiteren Äußerungen veranlasst, die er bei selbstkritischer Eigenbetrachtung eher nicht getätigt hätte. Ein Beispiel wäre etwa: „… ein Mensch mit Ihrer herausragenden Expertise wird doch sicherlich sagen können, ob …“

Unzulässige Delegation der Verantwortung

Im § 407a ZPO finden sich zur Frage der Verantwortung ebenfalls glasklare rechtliche Vorgaben: „Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.“ Als Hilfsdienste werden die Tätigkeiten angesehen, die auf das Gutachtenergebnis praktisch keinen Einfluss haben können, wie etwa das Demontieren von Teilen oder das Freilegen beziehungsweise Aufgraben vor der anschließenden Inaugenscheinnahme durch den Sachverständigen. Hierzu zählen ebenso Hilfestellungen beim Messen oder beim Bedienen von Maschinen, die allenfalls nur mit Arglist des Helfers das Gutachtenergebnis beeinflussen können.

Der Gutachter muss sich stets bewusst sein, dass er gemäß § 410 ZPO beeiden muss, dass das von ihm erbrachte Gutachten unparteiisch und nach seinem besten Wissen und Gewissen zu erstatten ist.

Unzulässige Amtsermittlung nach Art eines „Hilfssheriffs“

Eine der grundlegendsten Vorgaben im Hinblick auf die zivilrechtliche Prozessführung findet sich in § 138 ZPO. Danach obliegt es der Prozesspartei selbst, die für sie günstigen und für sie sprechenden tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß anzugeben. Dieses bedeutet, dass die Parteien all die Dinge, die für die spätere gerichtliche Entscheidung relevant sind, eigeninitiativ und eigenverantwortlich vorzutragen haben. Bei allem Verständnis für den Wunsch des Gutachters, der Wahrheit „auf den Grund zu gehen“, so ist es ihm dennoch untersagt, über die Vorgaben in dem ergangenen Beweisbeschluss hinauszugehen.

Gibt es eine Fallkonstellation, die es ihm bei einer ungenauen Beschlusslage unmöglich macht, eine von ihm zu verantwortende gutachterliche Bewertung abzugeben, muss er auf die entsprechenden Aspekte aus dem Blickwinkel seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hinweisen und das Gericht um weitere Weisungen ersuchen. Dies kann dann die Parteien zu weiteren, sachdienlichen Erläuterungen anhalten und zur Abgabe entsprechender Erklärungen auffordern.

Der Gutachter darf jedoch keinesfalls auf der Basis eines mutmaßlichen Parteiwillens eigenständig über die in dem Beweisbeschluss gestellten Fragen hinaus Stellung nehmen.

Arbeiten im „stillen Kämmerlein“

Als eine weitere der so genannten „Todsünden“ führen die Verfasser der Informationsschrift eine Form der Eigenbrötlerei des Sachverständigen an. In § 407a ZPO ist unmissverständlich geregelt, dass der Sachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrags dem Gericht unverzüglich mitzuteilen und durch selbiges eine Klärung herbeizuführen hat.

Ebenso regelt der Paragraf, dass sich der Sachverständige bezüglich der entstehenden Kosten seiner Beauftragung vorab Gedanken zu der Verhältnismäßigkeit dieser im Hinblick auf den Wert des Streitgegenstands zu machen hat. Erkennt er ein Missverhältnis, muss er frühzeitig darauf hinweisen. Gleichzeitig steht fest, dass der Sachverständige die ihm gesetzten Fristen einzuhalten hat oder aber frühzeitig darauf hinweisen muss, dass die Fristen, die ihm gesetzt wurden, nicht auskömmlich sind und er noch mehr Zeit benötigt.

Kommt es aber nun zu einer Verhaltensweise des Sachverständigen, die diese vorgenannten Pflichten nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt, dann kann ihm der Auftrag entzogen und sogar die Vergütung verweigert werden. Es hat auch schon Fälle gegeben, in denen ein Ordnungsgeld gegen den Sachverständigen verhängt wurde. Deshalb kann Sachverständigen an dieser Stelle nur angeraten werden, sich bei erkennbaren Schwierigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit der Gutachtenerstellung stets kurzfristig mit dem Gericht ins Benehmen zu setzen.

Überforderung des richterlichen Verständnisses

Zur Veranschaulichung dieses Aspekts sei nachstehend eine Passage aus der Informationsschrift zitiert:

„So hat etwa ein Bausachverständiger von einer Fehlschalung gesprochen, ohne zu erläutern, was das ist. Erst in der Berufungsinstanz wurde durch die naive Frage eines Richters offenbar, dass daran nichts Falsches ist, sondern nur schalungsbedingte kleine Aussparungen (Fehlstellen gewissermaßen) im Beton gemeint sind, die sachgerecht verspachtelt werden müssen. Wie soll ein Richter daran denken, dass eine Fehlschalung nicht etwas Falsches ist wie ein Fehlurteil?“

Jedem Sachverständigen muss bewusst sein, dass er sich einer Fachsprache bedient und dass das Laienverständnis der sonstigen „Nicht-Fachleute“ der eigentliche Empfängerhorizont ist, dem auch sprachlich hinreichend Rechnung getragen werden muss.

Unzulässige Ausflüge in rechtliche Fragen

Aus der Sicht des Verfassers dieser Aufstellung bedarf es bezüglich dieses Aspekts keiner weiteren Erläuterungen. So wichtig der Sachverständige auch im Hinblick auf die Erläuterung technischer Sachverhalte und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge ist, so wenig steht es ihm im Rahmen der Verhandlungsführung zu, über rechtliche Zusammenhänge zu sinnieren und eigene Rechtsauffassungen zu äußern.

Irreführende Gutachten

Zwar gehört es zum Selbstverständnis der richterlichen Wahrheitsfindung, dass die vorgelegten Gutachten vollumfänglich gelesen werden, doch ist gleichwohl tendenziell auch bei den Juristen die Neigung verbreitet, sich zunächst über das Fazit/die Zusammenfassung einen ersten Eindruck von der gutachterlichen Würdigung zu verschaffen. Es gehört aber – aus der Sicht der beiden vorgenannten OLG-Richter – zu einer leidvollen Erfahrung, dass Schlussfolgerungen von Seiten des Sachverständigen zwar außerordentlich überzeugend in einem Gutachten dargestellt werden, deren Herleitung sich aber nicht zwingend aus den gutachterlichen Ausführungen erschließt oder zum Teil sogar als fehlerhaft zu erkennen ist.

Wichtig ist also, dass das Gutachten die eigenen Quellen der Erkenntniserlangung offenlegt. Hierbei ist ebenso zwingend zwischen Schätzungen, Annäherungswerten, Grobschätzungen und exakten Feststellungen zu unterscheiden. Weiterhin ist zu beachten, dass die Formulierung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ für den Richter im Rahmen seiner tatrichterlichen Erkenntnis nicht gleichzusetzen ist mit einer mathematisch naturwissenschaftlichen Sicherheit.

Für die richterliche Überzeugung ist nach einer Formel des Bundesgerichtshofs „der für das praktische Leben brauchbare Grad subjektiver Gewissheit“ oder „das Schweigen vernünftiger Zweifel“ ausreichend. Soweit die Zusammenfassung der Informationsschrift des IfS.

Nachstehend folgen noch einige Ausführungen zu einem weiteren und sehr gewichtigen praxisrelevanten Aspekt, der ebenfalls Inhalt des Vortrags am 15. 09. 2022 war:

Die Besorgnis der Befangenheit

Zur Unabhängigkeit und der damit einhergehenden Unparteilichkeit gehört für Sachverständige, sich selbst dahingehend zu überprüfen, ob es im Rahmen der Beauftragung eine persönliche oder wirtschaftliche Bindung geben könnte, die bereits in sich den Anschein der Befangenheit trägt. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Januar 2017, AZ V ZB 31/16 (dort zu den Randnummern 8 und 9), dazu ausgeführt:

„Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

Ein Ablehnungsgrund liegt in der Regel vor, wenn der Sachverständige in derselben Sache für eine Prozesspartei oder deren Versicherer bereits ein Privatgutachten erstattet hat. Hat der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet, so wird die Frage einer daraus herleitbaren Besorgnis der Befangenheit unterschiedlich beurteilt. Die wohl überwiegende Meinung bejaht in diesen Fällen – teilweise unter der Voraussetzung, dass die Interessen des Dritten denen der ablehnenden Partei in gleicher Weise wie die der anderen Partei entgegengesetzt sind – einen Ablehnungsgrund.

Das OLG Celle hat in seinem Beschluss vom 10. 02. 2016, AZ 1 W 2/16 ausgeführt: „Gem. § 406 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Richter unterliegt gem. § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit der Ablehnung, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung eines Richters oder Sachverständigen zu begründen, sind danach nur objektive Gründe, die vom Standpunkt der Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, Richter oder Sachverständige stünden der jeweiligen Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber.

Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden kommen dafür nicht in Betracht. Nicht erforderlich ist, dass ein Richter oder der Sachverständige tatsächlich befangen ist; unerheblich ist auch, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Voreingenommenheit des Richters oder Sachverständigen zu zweifeln.

Zu den objektiven Gründen, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könne, gehört z. B. auch ein Kollegialitätsverhältnis zwischen dem Richter oder Sachverständigen und einer Prozesspartei, sofern darüberhinausgehende nähere berufliche oder private Beziehungen des Richters zu seinem Kollegen hinzutreten.“ Hintergrund dieser Entscheidung war, dass der spätere Sachverständige im Rahmen der Gerichtsverhandlung einräumen musste, dass er gemeinsam mit einer Partei des Verfahrens Fachkongresse und Fortbildungsveranstaltungen besucht hatte und eine „Duz-Freundschaft“ bestand.

Deutlicher nach außen trat die Äußerung eines Sachverständigen, der im Rahmen der mündlichen Erstattung und Erläuterung seines Gutachtens ausführte, dass die Stellung eines Beweisantrags durch die Partei sich für ihn als „Prozesshanselei“ darstelle. Auch dieser Sachverständige wurde wegen Befangenheit abgelehnt (siehe OLG Hamm, Beschluss vom 28. 07. 2015, AZ 9 U 160/13).

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige unterliegen der steten Verpflichtung, dass ihre Gutachten absolut unabhängig von den Interessen ihrer Auftraggeber zu erstellen sind. In der Rechtsordnung genießen Sachverständige ob ihrer öffentlichen Bestellung und Vereidigung höchstes Ansehen und gelten als Garant im Zusammenhang mit der Wahrheitsfindung. Ihnen obliegt die Pflicht zur Objektivität und zur Einbringung eines herausragenden Wissenstands.

Hartmut Hardt

Hartmut Hardt
AnhangGröße
Beitrag als PDF herunterladen718.66 KB

· Artikel im Heft ·

Was Sachverständige für Trinkwasserhygiene tunlichst unterlassen sollten
Seite 58 bis 61
06.06.2023
Hygiene-Erstinspektion
Die Hygiene-Erstinspektion einer Trinkwasserinstallation nach VDI 6023 Blatt 1 sichert sowohl Anlagenerrichter als auch Auftraggeber ab und leistet einen wichtigen Beitrag zur Schadensminderung.
06.10.2023
Neue Technologien und Netzwerke
Unternehmen können viele Brandrisiken minimieren. Das setzt jedoch vorausschauende Planung und Lösungen voraus. Ein entscheidender Schritt dahin ist die Anwendung von BIM.
06.06.2023
Explosiv
Im vergangenen Jahr kam der Solarspeicher-Hersteller Senec durch eine wochenlange Fernabschaltung seiner Lithium-Ionen-Speicher unter Druck. Damit reagierte das Unternehmen auf mindestens drei Brände...
06.06.2023
Brandschutz live und in Farbe
Am 21. und 22. Juni 2023 bietet die FeuerTrutz wieder den kompakten Überblick über alle neuen Entwicklungen im baulichen, anlagentechnischen und organisatorischen Brandschutz. Im Rahmen und parallel...
09.02.2024
Schmerzfrei bauen
Save the Date – Wie werden Bauprojekte pünktlich fertig? lautete der Titel des 5. Kapellmann | Schiffers Baukongress am 18. Januar in Düsseldorf. Ein breites Spektrum an Fachvorträgen beleuchtete u. a...
12.02.2024
AHO-Herbsttagung 2023
Im Fokus der AHO-Herbsttagung am 23. November 2023 im Ludwig-Erhard-Haus in Berlin stand die laufende Novellierung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI).