Brüssels „Renovierungswelle“ – Hoffnung für den Gebäudebestand?

Am 14. Oktober setzte die EU-Kommission die „European Renovation Wave“ in Gang. Unter anderem wünscht sich die Kommission eine deutlich schnellere energetische Sanierung des Gebäudebestandes. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die CO2-Emissionen im Gebäudebereich bis 2030 um 40 % sinken, bis 2050 soll der Sektor klimaneutral sein. Doch zwischen Plänen und Realität klafft ein Marianengraben.

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Die Wärmewende im Bestand rechnet sich: Insgesamt vier Luft-Wärmepumpen in Kaskade versorgen ein Wohn- und Gewerbegebäude in Plankstadt inklusive Schwimmbad im Untergeschoss klimaneutral mit Wärme. Bild: BWP
Die Wärmewende im Bestand rechnet sich: Insgesamt vier Luft-Wärmepumpen in Kaskade versorgen ein Wohn- und Gewerbegebäude in Plankstadt inklusive Schwimmbad im Untergeschoss klimaneutral mit Wärme. Bild: BWP

Eigentlich soll der Klimaschutz jetzt auch in deutschen Wohnungen und Häusern einziehen. Dafür muss die europäische „Renovierungswelle“ neue Ideen in deutsche Heizungskeller spülen, sonst kommt er bei Gebäuden nicht schnell genug voran.

Modernisierungsstau in Gebäuden

In deutschen Heizungskellern stehen oft überalterte Gas- und Ölkessel und wenn neue angeschafft werden, entscheiden sich die Hausbesitzer in vier von fünf Fällen immer noch für eine fossile Heizung und gegen Wärmepumpen oder Holzkessel – trotz ausgezeichneter staatlicher Förderung.

Kein Wunder: In der Corona-Krise ist der Ölpreis auf einem Rekordtief und die Gaspreise sind günstig wie vor zehn Jahren. Selbst der ab 2021 kommende CO2-Preis ändert nichts daran, dass Öl und Gas zu billig sind. Die Heizkosten für eine durchschnittliche Wohnung werden durch die deutsche CO2-Abgabe um 30 bis 100 Euro steigen – je nach Alter der Heizung. Für Klimaschutzinvestitionen reicht das nicht. Erst bei einem CO2-Preis von über 100 €/t sind die fossilen Energien teuer genug, um strombetriebene Wärmepumpen zu einer wahrhaft interessanten Alternative zu machen. Außerdem wird die Kraft-Wärme-Kopplung mit fossilen Energieträgern immer noch außerordentlich gut gefördert.

Die Folge: Anders als im Strommarkt, wo Wind, Sonne und Co. inzwischen mehr als die Hälfte der Elektrizität erzeugen, dümpelt die grüne Energie im Wärmemarkt bei einem Anteil von 14 %. Zarte „Pflänzchen“ eines Trends zu Erneuerbaren durch das neue Marktanreizprogramm sind immerhin erkennbar. So ist seit Januar 2020 der Absatz von Heizungswärmepumpen trotz des hohen Strompreises um 28 % gestiegen, der von Biomassekesseln hat sich sogar verdoppelt.

Auch bei der Wärmedämmung sieht es mau aus. Jährlich wird nur rund 1 % des Gesamtbestandes saniert. Bei diesem Tempo werden noch unsere Urenkel mit unsanierten Gebäuden leben. Und dort, wo die Heiz- und Dämmtechnik besser wird, frisst die pro Kopf steigende Wohnfläche die Erfolge wieder auf.

Europäische Impulse

Ob Klimaziele, CO2-Grenzwerte für Autos oder grüne Finanzprodukte: In immer mehr Bereichen kommen die entscheidenden Impulse inzwischen aus Brüssel. Am 14. Oktober hat die europäische Kommission mit der „Renovation Wave“ ein Strategiepapier vorgestellt, das neue Förderinstrumente, aber auch neue ordnungsrechtliche Anforderungen aufzeigt. Es ist zunächst unverbindlich, soll künftig aber auch in Gesetze gegossen werden.

Unsere europäischen Nachbarländer greifen dabei schon jetzt stärker durch. Dänemark, ein Altmeister der Wärmepolitik, hat schon lange einen hohen CO2-Preis und führte bereits vor 40 Jahren eine systematische Wärmeplanung in den Kommunen ein. Die Niederlande verbieten ab sofort den Einbau von Gaskesseln in Neubauten. In Frankreich dürfen ineffiziente Gebäude künftig nicht mehr vermietet werden. Spanien macht bei Häusern die Eigenversorgung mit Sonnenstrom leicht.

Nicht alles ist übertragbar. Trotzdem ist die europäische „Renovation Wave“ für Deutschland die Chance des Jahres, aus dem Renovierungsstillstand auszubrechen, neue Ideen aufzugreifen und die Lücke zwischen Klimawunsch und Gebäude-Wirklichkeit zu schließen.

Mehr klare Ansagen, Geld und soziale Verantwortung

Das EU-Papier schlägt auch neue staatliche Regeln vor, so genannte „Minimum Performance Standards“. Ohne solche Vorgaben hätten sich zuvor weder Sicherheitsgurte noch Auto-Katalysatoren oder die Rauchgasentschwefelung der Kraftwerke durchgesetzt.

Gerade in dieser Hinsicht enttäuscht das aktuelle Gebäudeenergiegesetz viele Expertinnen und Experten: Die dort geforderten Standards für den Energieverbrauch im Neubau bleiben weit hinter dem technisch und wirtschaftlich Machbaren zurück. Auch für existierende Gebäude enthält das Gesetz keine neuen Impulse. Dabei sind sie für den Löwenanteil unseres Heizenergieverbrauchs verantwortlich. Im Gebäudebestand wird es deshalb unverzichtbar sein, langfristig planbare Mindestanforderungen zu formulieren. So wie ein Auto regelmäßig zum TÜV muss, müssen auch Gebäude energetisch überprüft und instand gesetzt werden.

Die dafür erforderlichen Klimaschutzinvestitionen müssen stärker gefördert werden. Für eine soziale Wärmewende muss der Grundsatz über Bord geworfen werden, dass der Staat nicht finanziell fördern darf, was er an anderer Stelle gesetzlich vorschreibt.

Außerdem sollte der CO2-Preis auch nach 2025 weiter steigen und das, solange Deutschland die Klimaschutzziele nicht erfüllt.

Die Gebäudewirtschaft muss frühzeitig wissen, dass Klimagasemissionen jährlich teurer werden. Der CO2-Preis muss zudem gerecht zwischen Mieter und Vermieter aufgeteilt werden. Die Einnahmen aus der CO2-Abgabe sollten dabei ebenso wie ein Teil der Gelder aus dem europäischen „Green Recovery Fonds“ vor allem den ärmeren Mietern und Gebäudeeigentümern zugutekommen – auch, indem nachhaltig sanierte Sozialwohnungen, modernisierte Schulen oder klimaneutrale Quartiersversorgungen gefördert werden.

In diesem Dreiklang aus ökologischen Preisen, klaren Vorgaben und staatlicher Förderung kann die Wärmewende gelingen – ohne dass klimafreundliches Wohnen und Arbeiten zum Luxusgut wird.

Martin Pehnt

Martin Pehnt
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· Artikel im Heft ·

Brüssels „Renovierungswelle“ – Hoffnung für den Gebäudebestand?
Seite 40 bis 41
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