Bahnhofsquartier Rosenheim

Umweltfreundlich kühlen mit Wärme

Neben dem Umstieg auf erneuerbare Energien und der Steigerung der Energieeffizienz müssen kommunale Versorger auch den zusätzlichen Energiebedarf durch erhöhte Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz klimafreundlich absichern. Im Bahnhofsquartier Rosenheim geschieht das unter Nutzung von überschüssiger Wärme aus einem Müllheizkraftwerk.
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Die im Quartier Bahnhof Nord in Rosenheim installierte Absorptionskälteanlage „chillii® Cooling Kit“ der SolarNext AG hat eine Kälteleistung von 220 kW. Bild: SolarNext AG
Die im Quartier Bahnhof Nord in Rosenheim installierte Absorptionskälteanlage „chillii® Cooling Kit“ der SolarNext AG hat eine Kälteleistung von 220 kW. Bild: SolarNext AG

Der allgemeine Trend zur Gebäudeklimatisierung wird durch die Klimaerwärmung verstärkt und führt zu immer höheren Anforderungen in den Bereichen Wohnen und Gewerbe. Dadurch steigt auch der Primärenergiebedarf für die Gebäudekühlung stetig.

Zur Kälteproduktion werden traditionell überwiegend elektrisch angetriebene Kompressionskältemaschinen mit hohem Strombedarf unter Verwendung klimaschädlicher F-Gase eingesetzt. Dies verstärkt den Treibhauseffekt. Bei gleichzeitigem Trend zur Elektromobilität sowie durch den massiven Anstieg der Cloud-Nutzung in der IT führt dies zudem zu einem enorm wachsenden Strombedarf, dem die Netze nicht gewachsen sind.

Zur Gebäudekühlung und zur Deckung des Kältebedarfs müssen daher energieeffiziente und nachhaltigere Technologien genutzt werden, die etwa auf der Nutzung von Wärme zur Kälteproduktion basieren und intelligent und wirtschaftlich in Gesamtsysteme integriert werden müssen. Die Schlagworte sind hier Energieeffizienz, u. a. durch Nutzung von Abwärme, und Dezentralisierung, u. a. durch Nutzung bestehender Strukturen (Fernwärmenetz) und Erweiterung durch neue (Nahkältenetz).

Ein solches, integriertes Konzept wurde beim Projekt „Bahnhofsquartier Rosenheim“ umgesetzt. Die Stadtwerke Rosenheim betreiben ein Müllheizkraftwerk (MHKW), das neben der regionalen Stromproduktion überschüssige Wärme zur weiteren Wertschöpfung in das örtliche Fernwärmenetz einspeist. Dieses Netz ist von den saisonalen Schwankungen der Abnehmer betroffen: Während in den Wintermonaten eine maximale thermische Abnahmeleistung der Kunden bis zu 75 MW erreicht wird, liegt diese in den Sommermonaten deutlich unter 10 MW. An dieser Stelle kommt die Technologie „Kälte aus Wärme“ ins Spiel – unter Einsatz von Absorptionskältemaschinen.

Die Stadtwerke Rosenheim haben ein Konzept erarbeitet, in dem die in den Sommermonaten reichlich zur Verfügung stehende Abwärme des Müllheizkraftwerkes genutzt wird. In das Netz am Bahnhof Nord wird eine nahezu CO2-neutrale Kälte eingespeist. „Rosenheim als boomende Region in Oberbayern soll Nachhaltigkeit und Ökologie verkörpern, um seine Attraktivität für Firmen und Touristen weiter zu steigern. Hierzu gehört neben der Erschließung neuer Quartiere die Versorgung derselben mit entsprechend klimaneutraler Kälte und Wärme“, sagt Heiko Peckmann, Abteilungsleiter bei den Stadtwerken Rosenheim. Ein Vorteil der Absorptionskälte ist, dass Wasser als Kältemittel eingesetzt wird.

In heißen Sommermonaten kann die Abwärme aus dem MHKW den Endkunden über die Absorptionskälteanlage als effiziente und nachhaltige Lösung zur Gebäudeklimatisierung und Prozesskühlung zur Verfügung gestellt werden. Die Rückkühlung der Kältemaschine erfolgt mit einem adiabaten Rückkühlwerk mit drehzahlgeregelten EC-Ventilatormotoren, die Regelung der Kälteanlage durch den chillii® System-Controller.

Bei der Kälteerzeugung für das neue Quartier steht der Bau eines Versorgungsnetzes als Lösung zur Deckung der saisonal schwankenden und stetig steigenden Kühlanforderungen im Vordergrund. Kernstück der neuen Kältezentrale ist die Absorptionskältemaschine, die durch Antrieb von bis zu 95 °C heißem Wasser (312 kW Heizleistung) Kaltwasser mit 8 °C (220 kW Kühlleistung) für die Klimatisierung des Quartiers zur Verfügung stellt – das heißt „Kälte aus Wärme“ produziert.

Zur Erhöhung der Gesamteffizienz über das gesamte Jahr wird die Klimakälte (Kaltwasser) in der kalten Jahreszeit als „freie Kühlung“ hergestellt. Das heißt, in den Wintermonaten wird die Kälte direkt über den Rückkühler produziert, daher kann die Fernwärme im Winter weiterhin zum Heizen von Gebäuden genutzt werden. Der chillii® System Controller der SolarNext AG stellt den Betrieb hier entsprechend um.

Insgesamt werden mit dieser Kältezentrale Büroflächen mit einer Gesamtfläche von ca. 5.500 m² gekühlt. Die Absorptionskälteanlage kann leistungsmäßig jederzeit auf die steigenden bzw. reduzierten Kälteanforderungen reagieren und diese stufen-los adaptieren. Das heißt, es wird nur so viel Wärme in Kälte umgewandelt, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt benötigt wird. Es ergibt daher Sinn, eine Absorptionskälteanlage durchaus größer auszulegen, denn man kann davon ausgehen, dass in der Zukunft zusätzliche Verbraucher an das Nahkältenetz angeschlossen werden.

Dieses Kälteprojekt zeigt, dass mit einem nachhaltigen, integrierten Quartierskonzept die Energieeffizienz, eine Steigerung der Primärenergieausnutzung sowie eine nachhaltige Energiepolitik in Einklang mit den Bedürfnissen der Bürger:innen und Anwender gebracht werden kann. Zudem führt diese Lösung auch zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes um rund 85 % im Vergleich zu einer traditionellen Kälteanlage (Berechnungsbasis: Energiemix BRD 2019).

Klima- und Resourcengewinne

Thermisch betriebene Absorptionskältemaschinen, die mit dem Stoffpaar Wasser und Lithiumbromid (LiBr) arbeiten, können Wärme aus Fernwärmenetzen (zentrale KWK) und Blockheizkraftwerken (dezentrale KWK) sowie aus regenerativen Energien (z. B. solarthermische Anlagen) als Antriebsenergie nutzen.

Zudem reduziert die Nutzung von Wasser als Kältemittel den Treibhauseffekt (GWP) um 100 %, da Wasser keine Treibhausgase freisetzt.

Der Strombedarf zum Betrieb solcher Absorptionskälteanlagen (einschließlich Pumpen und Rückkühlwerk) liegt um etwa 75 bis 90 % niedriger als bei Kompressionskälteanlagen.

Durch die Nutzung der Nah- oder Fernwärme wird das bisher ungenutzte Energiepotenzial der Fernwärme im Sommer verwendet und ein effizientes und nachhaltiges Ressourcenmanagement umgesetzt. Zudem wird hierdurch auf die Produktion zusätzlichen Stroms verzichtet. Das bedeutet, das bestehende Stromnetz muss nicht wegen der Klimatisierung von Gebäuden ausgebaut werden und der steigende Strombedarf (u. a. Elektromobilität und Cloud-Nutzung) kann durch freiwerdende Kapazitäten gedeckt werden.

Absorptionskälte als Kundenbindungsinstrument

Neben der Entlastung der Stromnetze für die Kälteproduktion bei den Kunden können regionale Energieversorger insbesondere für die Anwendung im Bereich der Gebäudeklimatisierung ihre im Sommer vorhandene Abwärme aus der Stromproduktion für die Bereitstellung von Kälte nutzen. Natürlich sind hier auch andere Formen der Antriebsenergie denkbar, wie z. B. der Einsatz von Wärme aus solarthermischen Kraftwerken. Hier kann man entweder die Wärme in entsprechenden Wärmespeichern speichern und dann den ganzen Tag über nutzen oder tagsüber direkt die Wärme aus den solarthermischen Kollektorfeldern nutzen.

Realisiert werden können entweder eine zentrale Kälteproduktion in Verbindung mit einem Kältenetz oder eine dezentrale Kälteproduktion direkt beim Kunden über die Anbindung an das bestehende Fernwärmenetz und einer beim Kunden vor Ort installierten Absorptionskälteanlage. Dies ermöglicht Energieversorgern eine erhöhte Kundenbindung, die die Planungssicherheit für beide Seiten erhöht. Kund:innen können ihre CO2-Emissionen erheblich reduzieren.

Jakob Schober

Jakob Schober

Frank Molter

Frank Molter
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· Artikel im Heft ·

Umweltfreundlich kühlen mit Wärme
Seite 20 bis 21
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