dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität

Klimaneutralität ist ein Jahrhundertprojekt

Die neue Studie "Aufbruch Klimaneutralität" formuliert ambitionierte aber realistische Ziele und Wege zur Transformation von Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Gebäudesektor bis 2045.

v.l.n.r. Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz (Geschäftsführer ITG Dresden), Max Gierking (Energiewirtschaftliches Institut der Uni Köln, EWI), Christoph Jugel (dena, Leiter Energiesysteme), Prof. Andreas Kuhlmann (dena, Vorsitzender der Geschäftsführung), Hanne May, (Leiterin Kommunikation dena), Foto: Huss Medien GmbH
v.l.n.r. Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz (Geschäftsführer ITG Dresden), Max Gierking (Energiewirtschaftliches Institut der Uni Köln, EWI), Christoph Jugel (dena, Leiter Energiesysteme), Prof. Andreas Kuhlmann (dena, Vorsitzender der Geschäftsführung), Hanne May, (Leiterin Kommunikation dena), Foto: Huss Medien GmbH

Nach 17 Monaten intensiver Arbeit mit einem breiten Kreis von Akteuren veröffentlichte die Deutsche Energie-Agentur (dena) am Donnerstag den Abschlussbericht der dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität. Die Studie soll ein energie- und klimapolitisches Fundament für zukünftige Bundesregierung liefern.

Zehn wissenschaftliche Institute brachten ihre gutachterliche Expertise ein und über 70 Unternehmen ihre Branchenerfahrungen und Markteinschätzungen. Beteiligt war zudem ein 45-köpfiger Beirat mit hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Die Zusammenarbeit an der Studie erfolgte im wesentlichen auf digitalem Wege. Die Kosten wurden zu 30 % von der dena getragen, die verbleibenden 70 % von den übrigen Partnern.

Die Beteiligten untersuchten gemeinsam realistische Technologie- und Transformationspfade sowie die notwendigen Rahmenbedingungen, um die Klimaziele bis 2045 in einem integrierten klimaneutralen Energiesystem in Deutschland zu realisieren. Dabei wurden konkrete Lösungssätze und CO2-Reduktionspfade analysiert und identifiziert. 84 Aufgaben wurden formuliert, von denen einige leichter und andere mit Herausforderungen verbunden sind.

Betrachtet wurden alle Sektoren - die Energieversorgung mit den höchsten Emissionen, Industrie, Verkehr und Gebäude. In allen Sektoren ist die Erhöhung der Energieeffizienz, der verstärkte Einsatz von elektrischen Endanwendungen und effizienter Anlagentechnik sowie der Einsatz von erneuerbaren gasförmigen und flüssigen Energieträgern notwendig, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.

"Gegenüber der Studie von vor drei Jahren hat sich dabei einiges geändert. So wird jetzt u.a. viel mehr Solarenergienutzung veranschlagt, ein schnellerer Ausstieg aus der Kohleverstromung vorgesehen und das Thema CO2-Senken neu betrachtet", sagt Andreas Kuhlmann.

Gebäudebereich: Wärmepumpen, Wasserstoff, klimaneutrale Brennstoffe

Gebäude dürfen in 10 Jahren nur noch etwa halb so viel Emissionen verursachen. Sie müssen bis dahin um 44 % sinken (von rund 120 auf rund 67 Mio. t CO2ä). Der Großteil der Minderungen (46,5 Mio. t CO2ä) entfällt auf Maßnahmen an der Gebäudehülle und technische Anlagen.

„Um Klimaneutralität im Gebäude­bestand zu erreichen, braucht es tiefgreifende Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit. Gebäude mit dem schlechtesten Standard müssen zuerst angepackt, Sanierungsverfahren standardisiert, massiv intensiviert und die Wärmeversorgung schnell dekarbonisiert werden“, sagt Andrea Kuhlmann, dena.

Aus den Studienergebnissen wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die helfen sollen, die ambitionierten Ziele im Gebäudesektor zu erreichen, darunter:

• Weiterentwicklung der Fördersystematik
• Unterstützung von Markteinführung und Markthochlauf klimaneutraler synthetischer Brennstoffe
• Stärkung von Digitalisierung und Gebäudeautomation
• Anpassungen ordnungsrechtlicher Vorgaben im Neubau in Verbindung mit Förderung
• Verbesserung der Umsetzung des Ordnungsrechts im Bestand
• Gebäudenahe Energieerzeugung (KWK, Brennstoffzelle, PV) stärker systematisch betrachten - Verbraucher als Prosumer ermöglichen

Die Ziele des Gebäudesektors seien erreichbar, sagt Prof. Dr. Bert Oschatz vom ITG Dresden, das in gutachterlicher Funktion an der Studie beteiligt war. Aber die Sanierungsrate von 0,9 % im Gebäudebestand reiche bei weitem nicht aus. Sie muss schrittweise um 0,1 %/Jahr ansteigen, so dass sie in 10 Jahren etwa doppelt so hoch ist. Der Standard muss dann in etwa dem KfW Effizienzhaus 55 entsprechen. Der Neubau ist deutlich weniger relevant, aber auch hier muss der Standard steigen.

Der Einsatz von Wärmepumpen, der Ausbau der Anschlüsse an Wärmenetze muss massiv vorangetrieben werden. Im Szenario KN100 werden für das Jahr 2030 bereits 4,1 Mio. Gebäude mit Wärmepumpen versorgt, im Jahr 2045 sieht die Studie 9 Mio. Wärmepumpen.

Bis 2030 werden 1,3 Mio. weitere Wohnungen (gegenüber 2019) durch Wärmenetze versorgt werden, 2045 sind es dann 2,7 Mio.

Auch der Einsatz von klimaneutralen Brennstoffen muss sich schon bis 2030 mehr als verdreifachen, von heute 9 auf dann 32 TWh. Bis 2045 erfolgt eine weitere Vervierfachung auf 120 TWh.

Aufgrund der Vielschichtigkeit des Gebäudesektors mit seinen sehr spezifischen Herausforderungen ist aus heutiger Perspektive ein klimaneutraler Gebäudebestand ohne Wasserstoff und klimaneutrale Gase nicht denkbar. Eine besondere Herausforderung ist der dafür erforderliche Umbau der Infrastruktur.

Unter dem modellierten Szenario gibt es 2045 noch immer 8 Mio. mit Gas beheizte Gebäude. "Ein Verbot von Gasheizungen wäre mit einem hohen Risiko verbunden", sagt Kuhlmann. Als Technologieoption sollte Gas bzw. Wasserstoff weiterhin sichergestellt werden. Bert Oschatz zufolge sollen alle verbleibenden Gasheizungen im Tandem mit erneuerbaren Technologien arbeiten. Den Gasverteilnetzen solle ab der 2. Häfte der 2030er zunehmend (grüner) Wasserstoff beigemischt werden, so Christoph Jugel, Leiter Energiesysteme bei der dena.

DVGW-Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Gerald Linke sieht Erdgas als Energieträger als bis auf weiteres unverzichtbar an. Die dazugehörige Infrastruktur sei auch in Zukunft eine wesentliche Voraussetzung, um die Energiewende mit Wasserstoff und weiteren klimaneutralen Gasen nachhaltig zu gestalten. "Jetzt kommt es darauf an, dass eine neue Bundesregierung auf die Kompetenz und Expertise der vielfältigen Stakeholder zurückgreift, die sich an der dena-Studie beteiligt haben. Die darin enthaltenen Erkenntnisse und Empfehlungen müssen als unverzichtbares Werkzeug in der Gesetzgebung hin zur Klimaneutralität in Deutschland einsetzt werden.“

Der Spitzenverband der Deutschen Heizungsindustrie beteiligte sich ebenfalls an der Studie. „Der BDH unterstützt dieses Studienprojekt“, so Präsident Uwe Glock. „Es dient dem notwendigen Diskurs aller beteiligten Wirtschaftssektoren und der Politik über Lösungen und Instrumente zur Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland und Europa“.

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