Gastkommentar

Starkregenauswirkungen bekämpfen

Gerade in den Sommermonaten kommt es in Verbindung mit Unwettern oder Gewittern immer häufiger zu Starkregen, der zu Sturzfluten führen kann. Dem lässt sich in der baulichen Gestaltung mit einigen Maßnahmen begegnen

Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV)
Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV)

Von Prof. Norbert Gebbeken, Exzellenter Emeritus der Fakultät für Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München, Leiter der Forschungsgruppe “BauProtect” und Vorsitzender des Forschungszentrums “RISK”

Die vergangenen Wochen haben uns ausgiebig vor Augen geführt, dass es insbesondere in Tal- und Hanglagen zu Sturzfluten kommen kann, die selbst Fachleute erstaunen lassen. Die Intensität der Starkregen erfährt eine neue Dimension. Die Sachschäden und das menschliche Leid sind unermesslich. Sturzfluten treten nicht nur in der Alpenregion auf, sondern auch im vermeintlichen Flachland. 

Eigentlich haben wir alle es schon erlebt. Wir sitzen gemütlich im Biergarten und wie aus dem Nichts kommt ein Sturm auf und ein Wolkenbruch prasselt auf uns herunter. Innerhalb weniger Minuten steht man knöcheltief im Wasser und Martinshörner künden von Einsätzen der Polizei und Feuerwehr. Auf dem Weg nach Hause müssen Umwege gefahren werden, weil Unterführungen vollgelaufen oder Bäume umgestürzt sind. Beim Telefonat mit Freunden im angrenzenden Stadtviertel erfahren wir, dass man dort gänzlich verschont geblieben ist. In den Abendnachrichten sieht man dann die Auswirkungen des Starkregens: Entwurzelte Bäume, überflutete Keller und Unterführungen, Unfälle durch hochgedrückte Gullideckel und Aquaplaning, abgedeckte Hausdächer, usw. Dabei war am Vorabend in den Nachrichten noch die Rede von Extremhitze und Dürre und deren Auswirkungen auf Natur und Grundwasser.

Wetterextreme häufen sich

Offensichtlich haben wir es mit Wetterextremen zu tun, die sich sowohl häufen als auch intensiver werden. So wird es z.B. vom Deutschen Wetterdienst bestätigt. Besonders gravierend sind die Auswirkungen von Wetterextremen in besiedelten Hang- und Tallagen und in Städten, die stark versiegelt sind und kontinuierlich wachsen. Seit 2008 lebt mehr als die Hälfte der Menschen in Städten, Tendenz stark steigend. Neben den Starkregenereignissen stellt das Aufheizen der Städte ein weiteres Problem dar. Inzwischen gibt es an medizinischen Fakultäten Lehrstühle, die sich mit den gesundheitlichen Folgen von Ozon und Hitze in Städten und Wohnungen beschäftigen.

Nun müssen wir uns die banale Erkenntnis vergegenwärtigen, dass die Natur immer natürlich ist. Sie kann nicht anders. Man mag fragen: Wieso kommt es zu Naturkatastrophen? Das geht aber nicht, ohne weitere Fragen zu stellen: Leben wir im Einklang mit der Natur? Haben wir Natur verstanden? Setzen wir uns bewusst oder unbewusst Naturextremen aus, die für uns Menschen eine Gefahr darstellen?

Wenn wir klug sind, dann setzen wir uns einer Gefahr nicht aus, wir weichen ihr aus. Bei Bestandsinfrastrukturen müssen wir anpassen und bei Schutzbauten widerstehen: Ausweichen, Anpassen, Widerstehen.

Vor dem Hintergrund der Folgen des Klimawandels müssen Architekten und Bauingenieurinnen sich fragen, wie sie dieser Veränderung durch die bauliche Gestaltung der Umwelt begegnen können.

Hoher Grad der Versiegelung

Ein großes Problem ist der hohe Grad der Versiegelung von Flächen. Er führt dazu, dass das Wasser nicht mehr zurückgehalten werden kann. Straßenquerschnitte und die Mischwasserkanalisation können die Regenmassen nicht abführen. Somit kommt es zu Überflutungen, Sturzfluten und Sekundärgefährdungen durch z.B. hochgedrückte Gullideckel, Verunreinigungen etc. Die Versiegelung besteht häufig aus undurchlässigem Asphalt und Beton. Die dunklen Oberflächen wandeln einfallendes Sonnenlicht in Wärmestrahlung um und tragen so zur Überhitzung der Städte bei. Fragt man nun Expert:innen, die sich mit dem Kühlen der Städte wissenschaftlich beschäftigen, dann erfährt man, dass dafür Wasser und Grün benötigt wird und man den Regen, auch den Starkregen, möglichst lange zurückhalten und speichern muss. Dann lassen sich bei Dürre Pflanzen und Bäume bewässern und durch Verdunstung kühlen. 

Trennung der Kanalisationsinfrastruktur

Somit ergeben sich für uns Architektinnen und Bauingenieure drängende und wichtige Zukunftsaufgaben. Wir müssen versiegelte Flächen entsiegeln oder zumindest perforieren. Die Kanalisationsinfrastruktur muss in Schmutzwasser und Brauchwasser getrennt werden. Straßenquerschnitte sind so anzulegen, dass sie Regenwasser sammeln und abführen und es möglichst in Teichen oder Zisternen speichern können. Dächer von Häusern und Industrieanlagen sowie Fassaden sollten begrünt werden. Es gibt inzwischen Beispiele für urbanes vertikales Gärtnern.

Das Baurecht sollte vorsehen, dass ab einer bestimmten Anzahl von benötigten Parkplätzen Parkhäuser vorgeschrieben werden, anstatt große Flächen zu versiegeln. Diese Parkhäuser können mit Zisternen, Grün, Solar- und Klimatechnik versehen werden und somit Wasser speichern, Kühlen und Strom erzeugen.

Dies sind nur wenige Beispiele. Technisch lässt sich noch sehr viel mehr tun, um dem Klimawandel zu begegnen.

Um die anstehenden Aufgaben interdisziplinär zu lösen, haben sich die Bayerische Architektenkammer, die Bayerische Ingenieurekammer-Bau, das Landesamt für Umwelt, die deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall und der Baugewerbeverband zusammengeschlossen. Auch die Universität der Bundeswehr München ist mit dem Forschungszentrum RISK und der Forschungsgruppe BauProtect an diversen Projekten beteiligt. Im Januar 2021 wurde ein Leitfaden „Wassersensibles Planen und Bauen“ vorgestellt, der zum kostenlosen Download bereitsteht. 

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