Standpunkt

Wasserstoff - Hoffnungsträger für die Energiewende?

Beim Thema Energiewende ist Wasserstoff zum neuem Hype aufgerückt. Doch der Einsatz muss sorgfältig überlegt werden, denn nicht jede Menge und nicht jede Art der Herstellung ist für jeden Verbrauchssektor sinnvoll.

Wasserstoff sollte nur eingesetzt werden, wenn er klimaneutral erzeugt werden kann. Foto: Siemens
Wasserstoff sollte nur eingesetzt werden, wenn er klimaneutral erzeugt werden kann. Foto: Siemens

Von Roland Schmidt, Head of Energy Performance Services, Siemens Smart Infrastructure, Deutschland

Der Klimaschutzplan hat das ehrgeizige Ziel, dass Deutschland bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral ist. Wir wissen alle, dass es nicht nur die eine erneuerbare Energiequelle gibt und dass diese von Region und Region variieren. Auch grüner Wasserstoff wird nicht die alleinige Lösung sein, den Energiebedarf in Deutschland zu decken. Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Energieeffizienz sind in aller Munde – wie soll ökologisch, nachhaltig, wirtschaftlich sinnvoll und ohne Einbußen in der Resilienz der Stromversorgung vorangegangen werden?

Um CO2-neutral zu werden, müssen wir weg von fossilen Energieträgern – Dekarbonisierung. Um mit erneuerbaren Energien sinnvoll zu agieren, ist die Dezentralisierung enorm wichtig: Die Energie dort verbrauchen, wo sie herkommt bzw. entsteht und bestmöglich „lagerfähig“ für viele verbrauchende Sektoren, wie Industrie und Verkehr beispielsweise nutzen. Das Thema Energieeffizienz und der verantwortungsvolle Umgang mit unseren Ressourcen darf nicht vergessen werden, denn nur so können wir uns verantwortungsbewusst weiterentwickeln. Dieses Argument unterstützt auch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI). Die Energiewende ist zentral für eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft in Deutschland.

Welchen Beitrag kann Wasserstoff dazu leisten?

Wasserstoff (H2) ist weltweit das am meisten verbreitete Element. In der Industrie ist der Einsatz des hochentzündlichen Gases schon lange etabliert und daraus nicht mehr wegzudenken. Hier sprechen wir allerdings von grauem Wasserstoff.

Wasserstoff wird mit diversen Farben belegt, die den Herstellungsprozess signalisieren. Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen, beim Herstellungsprozess wird CO2 freigesetzt. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung sind das für 1 T grauen Wasserstoff rund 10 t CO2. Anders ist es mit grünem Wasserstoff, für dessen Herstellungsprozess erneuerbare Energien genutzt werden und der daher mit einem CO2-freien Fußabdruck daher kommt. Und genau da soll die Reise hingehen.

Der grüne Hoffnungsträger und seine Grenzen

Das Potenzial von grünem Wasserstoff richtet sich nach seiner Verfügbarkeit, den Speichermöglichkeiten und der Ausweitung seiner Einsatzbereiche.

Verfügbarkeit

Der Produktionsort im Sinne der Dezentralisierung ist in erster Linie an die Verfügbarkeit von Wasser gebunden. Für 1 kg H2 werden im Herstellungsprozess 17 kg Frischwasser benötigt. Damit scheiden Produktionsorte aus, die zwar sehr sonnen- oder windverwöhnt, aber wasserarm sind.

Die Produktion von grünem Wasserstoff sollte ebenso dezentral angelegt sein, wie der spätere Verbrauch. Auch mit Blick auf Transportkosten ergibt dies Sinn. Der Transport von einem 1 kg Wasserstoff kostet etwa 1 Euro pro 100 km. Zum einen ist das wirtschaftlich nicht rentabel im Vergleich zum niedriger bepreisten grauen Wasserstoff und zum anderen würde über zu weite Transportwege erneut CO2 anfallen. Damit grüner Wasserstoff ökologisch nachhaltig und wirtschaftlich rentabel ist, gilt es eine Nutzung ohne lange Transportwege zu realisieren.

Zugleich sollte nicht vergessen werden, dass für grauen Wasserstoff eine CO2-Steuer anfällt. Aber das ist ein anderes Thema.

Speicherung

Mittels Elektrolyse wird aus erneuerbarem Strom und Wasser Wasserstoff hergestellt. Das Gas lässt sich beliebig lange speichern und könnte bei Bedarf sogar wieder in Strom umgewandelt werden, beispielsweise über eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage. Das spricht für Wasserstoff.

Einsatzbereiche

Für die Etablierung von grünem Wasserstoff sollten die bereits vorhandenen Nutzungssektoren, wie in der Industrie, Metallurgie, Stahlproduktion, Chemieindustrie usw. genutzt und die Nutzungsmöglichkeiten weiter ausgebaut werden. Die weitere Einführung muss strukturiert angegangen werden.

Bei der Frage: Wo ist Potenzial? kommt definitiv die Luftfahrt in den Fokus. Es ist zwar noch ein weiterer Prozess notwendig, um Kerosin zu verflüssigen, aber dennoch steckt ein immenses Potenzial in der wasserstoffbasierten Technologie für die Reduktion von CO2. Flugstrecken sind genau planbar hinsichtlich Route und Betankung. So kann die Betankung strukturiert an den geeignetsten Knotenpunkten erfolgen.

Gleiches gilt für den planbaren öffentlichen Verkehr: Züge und Busse. In weiterer Zukunft für eine wasserstoffbasierte Energieversorgung wäre der planbare LKW-Verkehr zu sehen und dann erst folgend der freie LKW- und PKW-Verkehr als ein eher ungeordnetes System. Umso individueller die Mobilität, umso schwieriger und aufwändiger gestaltet sich die Planung eines Versorgungsnetzes.

Fazit

2018 lag der Bedarf an Wasserstoff in Deutschland bei 1,8 Mio. t, Tendenz steigend. Ziel ist es nicht, den Energiebedarf in Deutschland mit Wasserstoff zu decken. Vielmehr soll Wasserstoff dann produziert werden, wenn die Region Stromüberschüsse verzeichnet. Wasserstoff wird den Energiehandel auf lokaler Ebene weiter voranbringen, denn die Wasserstoffproduktion ist netz- und systemdienlich. Besteht ein lokales Defizit in der Stromversorgung, dann kann es mit einem Wasserstoffspeicher lokal behoben werden. Das ist neu: ein Schritt weiter weg vom globalen Stromnetz zu einem lokaleren Netz. Um damit eine Steigerung der Resilienz der Stromversorgung und Netzstabilität zu erreichen und das klimaneutral.

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