Ibbenbüren

Klimaschutzsiedlung mit resilienter Energieversorgung

Für eine Siedlung in Ibbenbüren entwickelte das Ingenieurbüro Eukon ein komplexes Energiekonzept, in dem saisonaler Anergie-Wärmespeicher, Wärmepumpe, Photovoltaik, Vakuumröhrenkollektoren und thermisch aktivierte Bodenplatte im Team zusammenarbeiten. Dafür wurde u. a. eine Methodik entwickelt, mit der Wärmeströme und Temperaturniveaus dynamisch abgebildet werden. Ein Monitoring ergab wichtige Erkenntnisse zu Nutzerverhalten und Funktion der Anlagentechnik.

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In der Klimaschutzsiedlung Ibbenbüren arbeiten saisonaler Anergie-Wärmespeicher, Wärmepumpen, Solarthermie, Vakuumröhrenkollektoren und thermisch aktivierte Bodenplatte im Team zusammen. Bild: VacuumPipes2022
In der Klimaschutzsiedlung Ibbenbüren arbeiten saisonaler Anergie-Wärmespeicher, Wärmepumpen, Solarthermie, Vakuumröhrenkollektoren und thermisch aktivierte Bodenplatte im Team zusammen. Bild: VacuumPipes2022

Gebäude oder gar eine Klimaschutzsiedlung möglichst klimaneutral zu gestalten, scheint nicht schwierig zu sein, glaubt man den vielen vollmundigen Werbeaussagen von Herstellern. Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt häufig, dass CO2- oder Klimaneutralität ausschließlich bilanziert betrachtet werden. Dabei unterliegt man einer saisonalen Illusion, denn den sommerlichen Überschuss von Energie rechnerisch in den Winter zu verschieben, funktioniert auf dem Papier. Damit dies auch in der Realität passiert, sind völlig neue Konzepte und Lösungsansätze erforderlich. Eine dieser Lösungen soll im Folgenden vorgestellt und erläutert werden.

Energie, die nicht benötigt wird, muss nicht bereitgestellt werden. Das heißt, im ersten Schritt ist es wichtig, den Bedarf an Heizwärme durch einen guten Wärmedämmstandard zu reduzieren und Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung zu nutzen. Doch auch bei Passivhäusern gibt es einen Fehlbedarf an Energie, den es zu überbrücken gilt.

Bild: MGT

Bei der Entwicklung des Energiekonzepts für die Klimaschutzsiedlung in Ibbenbüren stand der Wunsch nach einer größtmöglichen Unabhängigkeit im Vordergrund. So war schnell die Rede von einem möglichst hohen Autarkiegrad und dem Wunsch, die gesamte Energie mittels einer so genannten Heizungs- und Stromflat in die Warmmiete einzukalkulieren, so dass Mieter:innen keine zusätzlichen Energiekosten mehr entstehen.Statt Autarkie verwenden wir lieber den Begriff der Resilienz. Wenn die Energiekosten im Winter beispielsweise deutlich höher liegen als im Sommer, bedeuten Autarkiegrade von 50 % eben keine Unabhängigkeit, sondern führen möglicherweise zu einer stärkeren Abhängigkeit.

Bild: MGT
 
Die derzeitige Energiepreisentwicklung mit enormen Preissteigerungen im Strombereich ebenso wie bei Gas und Öl führen uns stark vor Augen, dassauch die Elektrifizierung der Wärmeversorgung nicht ohne Risiken ist. Die Energiepreise werden zukünftig weniger von den Erzeugungskosten als von den Speicherkosten abhängen. Insofern wird speicherbare, regenerativ erzeugte Energie deutlich an Wert gewinnen. An dieser Stelle setzt die Grundidee des Energiekonzeptes an. So wird in der Klimaschutzsiedlung das Erdreich unterhalb des Gebäudes als saisonaler Wärmespeicher genutzt. Da die Wärme in ihrem Temperaturniveau im Wesentlichen unterhalb des Nutzungsniveaus liegt, sprechen wir hier von einem so genannten Anergiespeicher. Auf diese Weise kann das Gebäude überwiegend über Solarenergie beheizt werden.

Sinnvolle Abstimmung von thermischer und elektrischer Solaranlage. Bild: Linnig/Eukon

Ein häufig verwendetes Argument, dass die Photovoltaik zwischenzeitlich so billig ist, dass sie die Solarthermie überflüssig macht. Es greift aber vor allem deshalb nicht, weil die Flächeneffizienz von thermischen Anlagen deutlich besser ist als die von Photovoltaik. Gerade bei größeren Gebäuden wie im Geschosswohnungsbau, bei Verwaltungsgebäuden oder bei Industrie und Gewerbe sind die Dachflächen im Verhältnis zum steigenden Energiehunger bereits heute zu klein. Es ergibt Sinn, benötigte Wärme direkt auch solarthermisch zu erzeugen und preiswert zu speichern.Solarthermie und Photovoltaik sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als Teamwork betrachtet werden. Eine sinnvolle Abstimmung von Solarthermie und Photovoltaik ist hierdurch besonders sinnvoll.

Eine Wärmepumpe, die im Wesentlichen über die Photovoltaik und solarthermische, gespeicherte Niedertemperaturwärme gespeist wird, sorgt für eine hohe Deckungsrate. Die Speicherung der Wärmeenergie erfolgt dabei auf drei unterschiedlichen Speicherebenen.

Wesentliche Komponenten des Energie- und Speicherkonzepts. Bild: Linnig/Eukon

Dreh- und Angelpunkt für die direkte Energieversorgung des Gebäudes ist ein Kurzzeitspeicher auf hohem Temperaturniveau. In diesem Speicher wird in erster Linie die Energie aus der thermischen Solaranlage gespeichert, solange ausreichend Sonneneinstrahlung vorhanden ist. Bei mäßiger Sonneneinstrahlung und Überschussstrom im Gebäude arbeitet die Wärmepumpe als Vorwärmsystem für den thermischen Kollektor. Auf diese Weise kann die Wärmepumpe bei niedrigem Temperaturniveau mit sehr hohem COP arbeiten. Für die Vakuumröhrenkollektoren ist es hingegen kein Problem, hohe Temperaturen zu erzeugen, wenn das Zulaufwasser für die Kollektoren bereits vorgewärmt ist.

Bei verhältnismäßig geringer Einstrahlung erreicht der Vakuumröhrenkollektor möglicherweise nicht das erforderliche Temperaturniveau, um direkt genutzt werden zu können. In diesem Fall gibt die solarthermische Anlage ihre Wärme an die Bodenplatte ab. Auf diese Weise erfüllt die thermisch aktivierte Bodenplatte die Funktion als weiterer Speicher. Die Bodenplatte wird hierbei in einem Temperaturbereich zwischen 19 und 25 °C gehalten. Nach unten hin ist die Bodenplatte nicht wärmegedämmt, so dass gleichzeitig eine Wärmeabgabe in die obersten Schichten des Erdreichs erfolgt. Steht deutlich mehr Sonnenenergie zur Verfügung als im Gebäude gebraucht wird, wird durch die thermische Solaranlage Energie in das Erdreich unterhalb des Gebäudes eingespeichert. Dies wird von uns als Energiespeicher bezeichnet und stellt sozusagen den dritten Speicher dar. Damit ein wesentlicher Teil der Wärme, die im Sommer dem Erdreich zugeführt wird, auch im Winter nutzbar bleibt, wurde um das Gebäude eine entsprechende Wärmedämmschürze vorgesehen, die das gesamte Erdreich unter dem Gebäude als Wärmespeicher nutzbar macht.

Um die Energie im Winter nutzen zu können, wird die gespeicherte Sonnenenergie unter dem Gebäude im Winter als Wärmequelle für die Wärmepumpe genutzt. Auf diese Weise bewegt sich die Temperatur unter dem Gebäude in einem Bereich zwischen 10 und 25 °C. In Tabelle 2 sind noch mal alle technischen Anlagenkomponenten aufgeführt.

Bild: MGT

Eine besondere Herausforderung eines derart komplexen Energiekonzeptes besteht darin, die vielen Freiheitsgrade einerseits und die enorm großen Speicherfähigkeiten in Verbindung der hieraus resultierenden hohen thermischen Trägheit, sinnvoll aufeinander abzustimmen.

Um dies zu ermöglichen, wurde ein Anlagenmodell der Simulationssoftware Polysun der Firma VelaSolaris erstellt. Mit dieser Software lässt sich die Anlagentechnik gut abbilden. Ein Problem besteht jedoch darin, die thermische Aktivierung der Bodenplatte sowie den Anergiespeicher in diese Simulation zu integrieren. Aus diesem Grund wurde vom Ingenieurbüro Eukon eine Methodik entwickelt, mit der wir die Anlagensimulation mit Polysun mit einer dynamischen Wärmebrückenberechnung basierend auf HT-Flux miteinander kombinierten. Mithilfe dieser Methodik war es möglich, die Wärmeströme und Temperaturniveaus dynamisch über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren abzubilden. Auf diese Weise konnten beispielsweise die monatlichen Erdreichtemperaturen unterhalb der Bodenplatte bestimmt werden, die wiederum Grundlage für die Berechnung innerhalb des Passivhausprojektierungspaketes (PHPP) sind.

Durch ein vom Land NRW gefördertes Monitoring kann die Temperaturverteilung unter dem Gebäude so mit den Simulationsergebnissen verglichen werden.

Eine weitere Herausforderung stellte die Regelungstechnik für die von uns entwickelte Anlagenhydraulik dar, da auch diese im Hinblick auf exergetische Optimierung entwickelt und programmiert werden musste. Hier konnten wir jedoch auf Erfahrungen aus anderen Projekten zurückgreifen.

Beheizungs- und Speicherkonzept – die Wärmepumpe wird vorrangig über die PV-Anlage betrieben. Bild: Linnig/Eukon

Die Gebäude wurden etwa im Juli 2020 in Betrieb genommen. Die ersten Ergebnisse aus dem Monitoring zeigen, dass die prognostizierten Erträge erreicht werden. Ein Problem stellt jedoch die Aufheizphase mit deutlich erhöhtem Wärmebedarf dar, das dadurch verschärft wurde, dass von Herstellern zugesagte technische Eigenschaften nicht hinreichend erfüllt wurden. Nach Auswertung der ersten Betriebsergebnisse aus dem Monitoring kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Anlage sich weitestgehend der Planung entsprechend verhält und die Anfangsprobleme ausgeräumt werden können. Als weiteres Problem hat sich gezeigt, dass einige Nutzer unter dem Eindruck der Warmmiete ein extrem unterschiedliches Verhalten an den Tag legen. So liegt der spezifische Verbrauch zwischen dem Sparsamsten und dem Bewohner mit dem höchsten Energiebedarf um den Faktor 15 auseinander. Hier wird es leider erforderlich, den zusätzlichen Verbrauch über die vertraglich zugesicherten Energiemengen hinaus abzurechnen. Da diese erfasst werden, dürfte dies kein Problem sein.

Klimaschutzsiedlung Ibbenbüren – Energiebilanz-Simulation Bild: Linnig/Eukon

Bedauerlich war auch, dass die vom Pufferspeicherhersteller zugesagten Eigenschaften hinsichtlich der Schichtung im Speicher nicht zutrafen. Durch das Monitoring wurde festgestellt, dass es insbesondere beim Rücklauf der Wärmepumpe aus dem Kältekreis zu einer Rücklaufanhebung kam, die sich negativ auf die Entzugsleistung des Anergietanks ausgewirkt. Leider war der Hersteller nicht bereit, hier an konstruktiven Lösungen mitzuwirken. Durch eine Anpassung der Anlagenhydraulik konnte das Problem mittlerweile weitestgehend umgangen werden.

Ein weiteres Problem ergab sich bei der Auslegung des Membranausdehnungsgefäßes für die thermische Solaranlage. Hier mussten wir feststellen, dass die Auslegungssoftware der Firma Reflex mangelhaft war. Dies führte dazu, dass die Ausdehnungsgefäße zu klein waren und entsprechend ausgetauscht werden mussten. Der Softwarefehler wurde aufgrund unserer Intervention zwischenzeitlich zwar behoben, an den uns entstandenen Kosten war die Firma Reflex jedoch nicht bereit, sich zu beteiligen.

Fazit

Trotz der oben beschriebenen Probleme konnte nachgewiesen werden, dass das Anlagenkonzept insgesamt sehr gut funktioniert und die Betriebsergebnisse sehr gut mit den Simulationsergebnissen übereinstimmen. Die von Eukon entwickelte Anlagenhydraulik bewährte sich ein weiteres Mal. Es zeigte sich, dass es möglich ist, durch eine exergetische Optimierung die Deckungsgrade sowie insgesamt den Nutzen und damit den Systemnutzungsgrad deutlich zu erhöhen.

Ausblick

Um die Technik für die breite Öffentlichkeit marktfähig zu machen, stehen wir derzeit mit verschiedenen Akteuren im Kontakt, um sie zu einem Plug&Play-fähigen, modular aufgebauten Gesamtsystem weiterzuentwickeln. Damit wir das von uns bezeichnete Sonnenhauskompaktsystem standardisieren und marktfähig machen können, ist weiterer Entwicklungsbedarf notwendig. Hierzu sind wir derzeit dabei, entsprechende Forschungspartner und -mittel ausfindig zu machen.

Kommentar
Von Dipl.-Ing. Jörg Linnig, Ingenieur für Versorgungstechnik (TGA) und Energieeffizienzberatung, Inhaber Ingenieurbüro Eukon und Vorstandsmitglied...

Dipl.-Ing. Jörg Linnig

Dipl.-Ing. Jörg Linnig

· Artikel im Heft ·

Klimaschutzsiedlung mit resilienter Energieversorgung
Seite 40 bis 43
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